Wie ein Unwetter gingen die “Rolling Stones“ über Hamburg hinweg. Zurück blieben Scherben, Trümmer, demolierte Autos, durchnäßte und blessierte “Rocker“ und ein Gefühl der Erleichterung, daß im Gefolge der “rollenden Steine“ nicht noch mehr Porzellan zerschlagen wurde. Das Gewitter entlud sich in der Halle mit harmlosem Donner, vor der Halle jedoch mit einigen gefährlichen Blitzschlägen.
Ein Lob der Polizei: Sie war großartig. In der Halle zeigte sie sich stets Herr der Lage, und auch draußen ließ sie sich nicht provozieren. "Wir werden die Veranstaltung schützen", hatte Polizeipräsident Dr. Frenzel vorher versprochen. Er hat Wort gehalten.
Um elf Uhr vormittags sah alles noch ganz harmlos aus. Auf dem Flughafen versammelten sich zögernd Kinder und Jugendliche, die mit großen Augen die massierte Streitmacht der Polizei bewunderten. Schließlich waren es jedoch etwa 2000 bis 3000 Fans, als die Rolling Stones aus der Maschine kletterten, sich kurz umsahen, schüchtern winkten und in Autos verschwanden. Mit einer Finte entkamen sie ihren Verehrern und fuhren einigermaßen unangefochten zum Verlagshaus Axel Springer, wo "BRAVO" einen Empfang arrangierte.
In der Zwischenzeit sprach sich in Hamburg blitzschnell der streng geheimgehaltene Name des Hotels herum, das so viel Mut aufbrachte, den "Rolling Stones" Obdach zu gewähren: Lilienhof in der Ernst-Merck- Straße. Dort gab es denn auch einen gelinden Auflauf, in dessen Gefolge sogar vier Autos zusammenstießen.
Das Konzert ? wenn man die Sache mal so nennen darf ? um 17.30 Uhr war eine Art Jugendvorstellung. Durchschnittsalter etwa 15 Jahre. Das Konzert am Abend gehörte den aufgeklärteren Jahrgängen. Beide Konzerte waren nach übereinstimmender Ansicht aller Dabeigewesenen ? ob jung oder alt ? eine grandiose Show, wie sie Hamburg bisher selten erlebte.
Wenn man rückblickend fragt: Was war denn so grandios daran? ? gerät man in Verlegenheit. Es läßt sich nicht schildern. Die bis ins Mark dringende Beat-Musik, die aufgeräumte Stimmung, die echte Begeisterung der jungen Leute, die ekstatische Show auf der Bühne und im Saal ? es gehört alles zusammen. Mädchen stöhnen verzückt, schluchzen, werden von Ordnern auf ihre Plätze zurückgedrängt, heulen weiter. Eir* Mädchen in Reihe vier vergießt während des ganzen Auftritts Ströme von Tränen, die sie mit der langen blonden Mähne abwischt.
Bei "The last time" steht die halbe Halle auf den Stühlen, der Lärm wird orgiastiscb. Ein junger Mann beginnt sich auszuziehen. Auf Befehl der Ordner muß er sich wieder anziehen. Nun haut er sich mit den Schuhen wie besessen an die Schläfen ? es ist gespenstisch. Ekstase? Oder nur Schau?
Im ersten Konzert tritt der blonde Brian Jones ans Mikrofon und sagt:55
"Wir freuen uns, daß wir heute abend hier sind." Im zweiten Konzert sagt er nichts, dafür spielt die Band zehn Minuten länger. Bei "Satisfaction" beginnt der Saal zu kochen. Im zweiten Konzert gibt's kleine Auseinandersetzungen mit den Ordnern. Mick Jagger, der Hexenmeister mit dem Mikrofon in der Hand, drosselt plötzlich die Lärm-Maschinerie, nimmt Lautstärke und Intensität zurück, verharrt bei einer Phrase, bis sich der Aufruhr gelegt hat ? und dreht wieder auf. Er macht das unglaublich geschickt, er hat die 6000 in der Halle fest in der Hand.
Urplötzlich verstummt der Lärm vom Podium, die Scheinwerfer gehen aus, die Bühne ist blitzartig leer ? Ende. Die Spannung fällt zusammen, die Menge strömt zum Ausgang. Man schüttelt in der plötzlichen Stille den Kopf und holt tief Luft. Man lebt noch.