Alt und Jung waren begeistert |*
Die im weiten Rund um die Felsenschlucht versammelten Bleichgesichter zogen die Mäntel fester um sich und blickten sorgenvoll zum dunkel verhangenen Himmel. Aber Ivtanitu hatte ein Einsehen. Er gebot den Wolken, weiterzuziehen, und ließ die drohenden Wasser nicht zur Erde niederfallen. So konnte die Premiere der zehnten Karl-May-Spiele in Bad Segeberg mit original-indianischer Musik und donnerndem Büchsenknall
pünktlich beginnen.
Und sie konnte nicht nur pünktlich beginnen, sie konnte auch bis zum großartigen Schlußbild mit lodernden Friedensfeuern auf den Kalkfelsen und dem farbenprächtigen Aufmarsch der wieder versöhnten Stämme der Navajos und der Nijoras siegreich durchgefochten werden.
Störung brachte lediglich ein verlaufener Jagdhund, der plötzlich in den wilden Westen einbrach und mit seinem Gekläffe Darsteller und Publikum aus der Fassung zu bringen drohte. Warum ließ da niemand seine Büchse sprechen? Der Schuß aus einem der stimmgewaltigen Feuerrohre hätte den Eindringling sofort in die Flucht gejagt. Aber wahrscheinlich schießt ein ordentlicher Westmann nicht auf gewöhnliche Hunde. Ja, wenn es ein Grizzlybär gewesen wäre . . .
Allerdings hatten die Gewehre der Westleute und Indianer auch so genug Arbeit. Die Schüsse blitzten nur so, und IIHIIIIIHIIIMIIMIIIIIIMIIIIHHIIIIIlllinilllMIIIIIIIIIIIIIIHIIIIIIIIIIIIIHU IIIIIIIMIIIIIIII ihr Donner hallte rollend von den Felsbergen wider. Die Schurken, vor allem der "ölprinz", nach dem das diesjährige Stück seinen Namen hat, erhielten ihre verdiente Strafe. Und das Gute triumphierte. Es siegte in so edlen Gestalten wie Old Shatterhand und Winnetou und in so kuriosen wie der Tante Droll und dem lustig-listigen Sam Hawkens, der jeden dritten Satz mit dem berühmten ? . . . wenn ich mich nicht irre, hihihi!" beschließt.
Wunderbare und beinahe wild galoppierende Pferde, ein Auswanderertreck mit richtigen Planwagen, rauchenden Lagerfeuern und dem komponierenden Kantor Aurelius Hampel ("Emeritus, wenn ich bitten darf!"), eine geheimnisvolle Höhle, die fast zwei ehrlichen Männern zum Grab wird, farbenprächtige indianische Kriegstänze, Wettschießen auf eine Whiskyflasche, Old Shatterhands Zweikampf-entscheidender Faustschlag und schließlich die Versöhnung aller mit allen unter dem heiligen Rauch der Friedenspfeife (Hobble Frank etwas stillos: "Der schönste Sieg meines Lebens!") ? das alles ließ in dem von ,Wulf Leisner verfaßten und mit gewohnter Großzügigkeit inszenierten Freilichtspiel die abenteuerliche Welt des wilden Westens wieder lebendig werden, wie sie uns aus Karl Mays Büchern bekannt ist.
Die Erwachsenen unter dem Publikum genossen trotz der Entzauberung, die die Jahre unweigerlich mit sich bringen, wieder einmal selbstvergessenes Indianer-Spielen, und die Kinder bekamen glühende Ohren vor Aufregung. Nicht nur die Jungen, auch die Mädchen. Meine kleine Tochter jedenfalls warf am Schluß unter dem Eindruck des Erlebten spontan ihren bisher heilig gehaltenen Berufswunsch über den Haufen:
"Weißt du, Papi", meinte sie, während sie sich krampfhaft an meiner Hand festhielt, um in der hinausströmenden Menge der sechstausend Besucher nicht verlorenzugehen, "weißt du, ich werde doch lieber nicht Kinderarztin, sondern Schauspielerin. Hier mitmachen ist doch bestimmt schöner, als immer an kleinen Kindern rumzumurksen!" Und auf meine etwas erstaunte Frage, welche Rolle sie dann spielen würde: "Natürlich Winnetou!"
Natürlich! Und natürlich den Winnetou! Aber damit wird es wohl nichts werden, wenn ich mich nicht irre, hihihi!
ERICH HOEPFNER