Ein Leben haben sie auf der Reeperbahn zwischen den Wachsfiguren ihres Panoptikums verbracht: die Brüder Arthur und Hermann Faerber. Mit ihrer noch immer vom seltsamen Zauber gruseliger Romantik umwitterten Schar ?Berühmter und Berüchtigter“ sind sie ein Stück Hamburg geworden.

Kein noch so doller Kintopp kann das erreichen: Daß dir eine Gänsehaut herunterrieselt, wenn du im Vorübergehen einen seriös gekleideten Herrn leicht rempelst, höfliche Entschuldigungsworte murmelst und plötzlich merkst ? Mensch, das ist ja gar kein Mensch. Nur Attrappe! Einen "zivilen" Göring haben sich die Brüder Faerber für diesen Überraschungseffekt ausgedacht. Die Marschalluniform wäre auch zu teuer gewesen: 1000 DM! Da war Kollege MacArthur mit seinem Khakihemd billiger. Auch Eva Braun im schlichtblauen '"Tailormade" von der Stange paßte in die Kalkulation. Dagegen bereitet eine Galauniform für den verstorbenen englischen König den beiden Brüdern noch immer Kopfschmerzen. Beim Schwedenkönig Gustaf ? da konnten sie sich leicht aus der Affäre ziehen. Und "Mr. G." im weißen Tennishemd stört es nicht, wenn Papst Pius XII. und Luther aus ihrer gemeinsamen Box ein wenig spöttisch zu dem König im weißen Sporthemd herüberblicken.

Sie sind hineingeboren in diese skurrile Welt der Wachsfiguren, die Brüder Faerber. Im Auf und Nieder der Zeiten wurden sie ihr Schicksal. Vater Friedrich Hermann Faerber, ein Berliner Bildhauer, fing 1879 an der Reeperbahn an. Castans weltberühmtes Berliner Panoptikum spukte ihm im Kopf herum. "Wenn Sie das in Hamburg nachmachen, werden Sie reich!" Und er wurde reich. Noch war das Kino fern. Die Hamburger drängten sich, um Faerbers "Genrebilder" zu sehen. Die "Löwenbraut" etwa, öder "Die Lebensmüde", den "Schutzengel" oder gar den "Steuerzahler". Das war Faerbers erste "tragig-umwitterte" Figur. Anno 1894 konnte sich es der Alte leisten, einen der ersten Benz-Motorwagen zu kaufen. Und Sohn Arthur lernte fahren, ?Ich

war erst vierzehn. Aber dafür hatte der Benz nur zwei Hebel zu bedienen."

Rund 300 Wachsfiguren ? Könige, Mörder, Heilige, Sünder ? und dazu ein stattliches Vermögen, das war 1908 das Erbe für die Faerber-Brüder, als der Vater starb. Die Inflation fraß das Vermögen. Trotz einer Milliarde Eintritt pro Person! Die wächserne Welt der Figuren aber schmolz dahin, als in den Bombennächten von 1943 der blutrote Himmel über St Pauli stand. Von 250 blieben sechs. Im Feuersturm vernichtet wurden Jannings und die Marlene, die Sandrock, Goebbels und Göring. Die "Dritte - Reich - Prominenz" allerdings war nur in Köpfen vertreten. Von den Faerbers im "Giftschrank" im Kontor verwahrt. Im Panoptikum gezeigt werden durften sie nicht. Das war "höchster Befehl". 1933 war die Gestapo gekommen und hatte Chaplin und Mendelssohn in Acht und Bann getan.

Aber die beiden Faerbers, heute 72 und 70, sind Hamburger. Es kann sie nichts mehr erschüttern. Mitten im Kriege schon fingen sie in ihrem Häuschen in Langenhorn an "vorzuarbeiten" für ein neues Panoptikum. Und nach Zeitungsbildern fabrizierten sie ihre originellste Gruppe: Roosevelt, Stalin und Churchill am runden Tisch. Die Brüder opferten ihre eigenen Smokings und zogen sie Churchill und Roosevelt an.

Als die Faerbers 1948 wieder "da waren" auf der Reeperbahn, da beugten sich als Überlebende aus der guten, alten Panoptikumzeit wieder , Hindenburg, Wilhelm II. und Ludendorff über die Generalstabskarte. Da zeigte Heinrich VIII. noch immer sein düsteres Blaubartgesicht. Nur "hinten" war er vom Brand noch leicht lädiert.

Inkognito besuchte neulich "Wunderdoktor" Gröning das Panoptikum und stand versunken vor seinem Konterfei in Wachs. Jetzt sind sie dabei, Rommel zu präparieren. Immer aktuell sein! Alte Panoptikumsweisheit"

Gespensterhaft ist es "hinter den Kulissen" des Panoptikums. Da stehen nebeneinander auf Regalen in schauriger Gemeinschaft "alte" Köpfe. Kohl, der Ozeanflieger, Schmeling in jungen Jahren, der Graf Zeppelin. Arthur Faerber hofft, daß eines Tages der Enkel das wächserne Erbe fortsetzen wird. Denn sein Sohn ist als' Reichsbahnrat ein "Außenseiter".

Am Abend, wenn die Lichter bunt auf der Reeperbahn strahlen, halten die großen Omnibusse auch vor dem Panoptikum. Und die. Besucher aus der ganzen Welt lassen sich beim Anblick Hitlers, Rasputins, Mussolinis oder Friedrich des Großen die bewußte Gänsehaut den Rücken herunterrieseln. Sie wissen nicht, daß sie an der Kasse einem der Faerber-Brüder das Geldstück reichen. Denn auch bei dieser Arbeit ergänzen sich die beiden, die In Glück und Unglück zusammenstanden: Ein Leben lang auf der .Reeperbahn. EBERHARD VON WIESE