Sie zeigen online, wie die Stadt sich kleidet - schneller und witziger als Magazine. Wie fünf Tagebuch-Schreiber die Szene aufmischen.
Die Frau streichelt immer wieder mit den türkisblau lackierten Fingernägeln über die silbrig schimmernde Oberfläche. Fast andächtig klappt sie den Bildschirm auf. "Ich kann mich schwer trennen, es ist mein zweites Baby", sagt Anna Wegelin, 25, lavendel gefärbtes Haar unter rotem Hütchen. Sie meint den Laptop. Ihr erstes Baby ist ihr Mode-Webblog. Schreiben, Fotografieren, Onlinestellen sind ihr tägliches Brot. Allerdings ohne davon satt zu werden. Anna studiert Modedesign an der Akademie Mode & Design (AMD), will nach ihrem Abschluss als Designerin arbeiten. Noch wird sie von ihrem Vater finanziell unterstützt. Der Blog ist ihre Spielwiese, "dort kann mir keiner reinreden". "Lachsbrötchen" nennt sie ihr Online-Tagebuch, "weil ich nicht glitzer-glamour bin, sondern einfach eine Hamburgerin, die am Fischmarkt wohnt".
Ihre Aufgabe sieht sie darin, junge Designer der Stadt zu unterstützen, denn Anna glaubt an Hamburg als Modestandort. "In zwei bis fünf Jahren wird sich hier einiges ändern. Hamburg ist sehr unverbraucht, hier ist noch vieles möglich." Gerade informiert sie ihre Blogger-Gemeinde über ihren nächsten Job: "Noch ist nichts gebucht & meine akkreditierung ist auch noch nicht durch aber der plan steht schon, mit einem bekannten lockenkopf & ein paar anderen mädels gehts auf nach copenhagen zur fashion week."
Neben Partybildern und Veranstaltungstipps finden sich auf Lachsbrötchen.Blogspot Berichte über Mode, Kunst, Fotografie und Musik - die Felder sind breit, Rechtschreibfehler keine Seltenheit; zu schnell vergehen Events und Trends, auf die die Mode-Blogger reagieren: Keilabsätze, Hosenanzüge, Uniformstil, gesehen in Berlin, London, aber natürlich auch in "lovely hamburg". Selbst Erlebtes überwiegt, manch ein Eintrag liest sich wie ein Mädchentagebuch. Schließlich sind die meisten keine ausgebildeten Journalisten. Häufig gehen sie noch zur Uni, studieren Kommunikationsdesign oder Soziologie, haben mal im Ausland gelebt - und dort ihre Liebe zur Heimatstadt wiederentdeckt. Das spiegeln auch die Namen ihrer Blogs wieder, von " HH Streetstyle " über "Lachsbrötchen " bis " Boheme sur le Kiez ".
Ksenia Lapin, 30, vom Streetstyle-Blog " Fashion Junk " nennt sich schlicht "Frau mit Karteikärtchen und Stift", ihren Kollegen Mario Tino, 28, den "Mann mit der Kamera". Zusammen ziehen sie durch Hamburgs Straßen und Läden, um den Stil der "schönsten Stadt in Norddeutschland zu erkunden". Schülerin Asta zeigt ihre Ketten aus dem Baumarkt, Studentin Ilka ihre Tasche aus Paris. "Die Person muss auffallen, der Look muss stimmig sein", sagt Mario Tino, der Grafikdesign gelernt hat. Dennoch zeigten sie "normale Menschen mit normalen Figuren - nicht unantastbar wie Laufstegmodels". Ihr "Anmachspruch" ist immer der Gleiche: "Uns gefällt, wie du aussiehst. Dürfen wir ein Foto machen?" Meistens dürfen sie, denn in einem Blog zu erscheinen, sei schließlich ein Zeichen von Anerkennung. Umso mehr, wenn man anschließend in Magazinen wie Prinz oder Grazia erscheint. Mittlerweile greifen auch etablierte Printmedien auf Fotos von der Straße zurück. Als studierte Soziologin beschäftigt sich Ksenia Lapin hintergründiger mit Mode und Konsum. "Fashion Junk heißt übersetzt Mode-Müll. Ich verstehe unsere Arbeit als Gegentrend zur Schnelllebigkeit der Modebranche. Anstatt gedankenlos zu konsumieren und wegzuschmeißen, propagieren wir Recycling- und Second-Hand-Klamotten. Zum Beispiel veranstalten wir Kleider-Tauschbörsen, und auch der Do-it-yourself-Trend ist spürbar. Mode sollte am besten ständig im Fluss, eben nachhaltig sein."
Gern zeigen sich die Bloggerinnen selbst oder gegenseitig, und so ist auch "Fashionline-Babe Micha" unter den "Fashion Junk"-Models: Michaela Büsse aus Eimsbüttel hat einen Bachelor in Kommunikation und Medienmanagement, will in die PR-Branche und ist Autorin des Fashion Blog "Bohème sur le Kiez". "Ich schreibe nur über Sachen, die mich selbst interessieren. Da kann ich so frech und subjektiv sein, wie ich will." In Iserlohn, ihrem Studienort, habe sie kaum Spannendes entdeckt. "Daher war ich ganz heiß auf Hamburg! Ich bin viel auf der Schanze unterwegs. Oft entstehen meine Fotos spontan, deshalb ist die Kamera immer dabei."
Rund 200 Leute lesen ihren Blog täglich, zehn Stunden pro Woche arbeitet Michaela Büsse für "Bohème sur le Kiez", während großer Modenschauen mehr. Auch auf der Berlin Fashion Week war sie dabei, "allerdings habe ich eher die Leute draußen beobachtet." Mittlerweile sei jeder scharf darauf, fotografiert zu werden. In Berlin seien viele "total durchgestylt", man erlebe dort eine "zwanghafte Individualität". Dann doch lieber die Hansestadt mit ihrem lässigen, entspannten Stil abbilden.
Zu dem ersten Bloggertreffen hatte sie rund 40 Hamburger Kollegen eingeladen. "Das ist aber noch nichts im Vergleich zu skandinavischen Ländern. In Städten wie Stockholm entdecke ich die besten Street Styles, dort hat fast jeder einen eigenen Blog." Diesen Trend sieht sie auch für Deutschland. Themen des Fashionline-Campus waren Vermarktung und Netzwerke. Bislang sind die meisten Blogs, die von Hamburgern geschrieben werden, nicht kommerziell. Mit Ausnahme von Two for fashion, einem Ableger von Otto. Und der Einfluss auf die Modebranche wird immer größer: "Im Vergleich zu Magazinen, die einer vorgegeben Richtung folgen, können wir viel schneller auf Trends reagieren und sind dichter an unserem Publikum dran. Blogger haben eine Stimme", sagt die 22-Jährige. Dem festen Turnus von Frühjahr/Sommer- und Herbst/Winter-Kollektionen, die verlässlich durch die großen Magazine abgebildet und interpretiert werden, unterwerfen sich lediglich noch die großen Couture-Häuser. Jüngere Labels präsentieren ihre Mode, wo und wann sie wollen. Und sie sind clever genug, sich den Bloggern zu öffnen. Denn schneller kann man keine Publicity bekommen.
Modediktat - das war vorgestern. Während Magazinredakteure noch an mehrseitigen Strecken mit dreimonatigem Vorlauf basteln, berichten die Fashion Blogger längst schon wieder von der nächsten Show in Kopenhagen, zeigen sich und andere in ihren Lieblingslooks. "Man kann eine Kollektion in zwei Minuten beschreiben", sagt Anna Wegelin. "Und muss dazu noch nicht mal in der ersten Reihe sitzen." Dieses Privileg bräuchten eher die Moderedakteure großer Zeitschriften - und doch werden sie zunehmend von Bloggern auf die hinteren Ränge verfrachtet. Dass die meisten Blogger Mode nicht so ernst nehmen, dürfte sie noch mehr ärgern.
Auch große Unternehmen orientieren sich um. An den Wänden des Konferenzraumes der Schuhfirma Görtz an der Spitalerstraße stehen sogenannte Mood Boards mit Ausschnitten aus Magazinen und Fotos, die Oliver Bremer von seinen Reisen mitbringt. Inspirationen holt sich der Head of Design von den Laufstegen in Paris, Kopenhagen und Berlin, aber auch immer mehr aus Fashion Blogs und im Café um die Ecke. Die meisten Trends entdecke er bei ganz jungen Leuten wie Schülern. "Das kommt daher, dass sie sich miteinander vergleichen, über Mode austauschen. Trends entstehen im Zusammensein mit Gleichgesinnten."
Das beobachtet auch Ksenia Lapin: "In Hamburg sind im Vergleich zu Berlin oder Stockholm weniger Menschen trendy, aber sie erkennen einander. Zum Beispiel an bunt lackierten Fingernägeln, Schmuck vom Flohmarkt oder 'grüner' Mode." Sabine Koppe, Beraterin im Hamburger Trendbüro mit Spezialgebiet Innovationen in Konsum und Kultur, hat dafür den Fachbegriff parat: "Peer Groups sind alters-, einkommens- und bildungsunabhängige Gruppen. Sie definieren sich über Stil und Einstellung zu bestimmten Themen, etwa ethnischer, nachhaltiger Konsum."
Dadurch, dass Firmen wie H&M und Zara Laufstegtrends rasant schnell kopieren, erscheinen sie für jedermann erschwinglich, die Modebranche ist demokratischer geworden - auch durch Fashion Blogs. "Heute kann man Teil einer globalen Bewegung sein, sich mit Frauen auf der ganzen Welt über Mode austauschen und gucken, wie sie sich stylen", sagt die Bergedorfer Marketing-Studentin Anja Reimers, 20, die auf ihrem Lifestyle-Blog peachymoments ("schönen Momente") einfangen will. Dazu gehört der Test eines neuen Nagellacks ebenso wie eine Plakatkampagne mit der Schauspielerin Scarlett Johansson sowie Bilder ihrer Katze. Die Bedeutung von Luxusmarken werde geringer, "wichtiger ist es heute, seinen eigenen Charakter nach außen zu tragen".
Die neue Herausforderung besteht laut Trendberaterin Sabine Koppe darin, die Flut von Informationen via Internet und Magazinen intelligent zu filtern und für sich zu nutzen. "Man muss sich seine Anker suchen, sonst geht man in der Flut unter. Es geht hier auch stark um das Thema Kennerschaft. Die neuen Fashionistas sind heute informierter als die Moderedaktionen einschlägiger Magazine. Sie mixen zum Beispiel Vintage-Haute-Couture mit Kaufhausmode. Individualität und das, was man daraus macht, zählt und bringt Anerkennung in der Community." So wird schließlich jeder zu seinem eigenen Stylisten. "Früher konnte man als Mode-Student mit ausgeflippten Klamotten auf dem Jungfernstieg noch für Furore sorgen", sagt Oliver Bremer von Görtz. "Heute geht alles. Man kombiniert Nude-Töne mit Knallfarben, trägt Kleider über Hosen, Sandalen im Büro." Wichtig sei die Selbstverständlichkeit und Glaubhaftigkeit, mit der Kleidung getragen werde. Und dass jemand darüber schreibt.